Erzsébet “Böske” Szigethy war wohl die erste und einzige weibliche Aktive im rumänischen Fußball vor 1945. Zwölf Jahre stand sie ihre Frau in der Kampfmannschaft des Clubul Sportiv »Victoria Ineu«, und das als Mittelstürmerin.
Diese berichtenswerte Vita entnehme ich dem Artikel zu einem Foto, das mir beim Kollationieren eines kürzlich erstandenen rumänischen Sportlexikons aus dem Jahr 1932 bildstäblich ins Auge gesprungen war. Es ist darauf eine genauso ernst wie scheu an der Kamera vorbeiblickende junge Frau mit Bubikopf zu sehen, die in einem sorgfältig gerichteten Fußballdress posiert: schwarz-weiß gestreiftes Leiberl, Hose und Stutzen, dazu glanzgewichste, straff geschnürte Stiefel. Artig zwar, mit hinten verschränkten Händen; zugleich aber ohne Zweifel auch angriffig steht sie da, Wille und Blick einzig auf das Ziel im Tor gerichtet, dort, wo die Wuchtel hin muss.
Das Lemma zum daneben und darunter gesetzten biographischen Eintrag enthüllt ihren Namen, der mir beim Lesen, je öfter ich ihn wiederhole, desto melodischer nachklingt: “Szigethy Böske”. »Böske« steht im Ungarischen kurz für Erzsébet, und auf ungarisch schreibt man ja den Nachnamen zuerst, also: Erzsébet Szigethy hieß sie. 1909, als Böske geboren wurde, war eine andere Erzsébet, Elisabeth von Österreich-Ungarn, bereits seit 11 Jahren tot. Es ist dennoch gut möglich, dass die in der ungarischen Reichshälfte der Habsburger Monarchie als lichtgestaltige Königin verklärte »Sisi« den Eltern vorschwebte, als es an die Taufe ihrer Tochter ging. Im Pfeiffen auf Konventionen sollte Böske ihrer berühmten Namensbase, die ja zuerst deshalb im Geschichtsgedächtnis blieb, weil sie ihrer Zeit gegen den Strich lebte, jedenfalls nicht nachstehen.
Die wundersame Nachricht über die Balltreterin Böske finde ich in den Spalten 1412 bis 1414 des anzuzeigenden »Sport-Albums« auf Rumänisch, Ungarisch und Deutsch, bis heute Verkehrssprachen der zur Zeit ihrer Kindheit eben noch zu Transleithanien, und als sie Aktive war, schon zu Rumänien gehörenden östlichen Crișana, einem Landstrich, der auf Deutsch in aller Schräge “Kreischgebiet” heißt. Wie es der Zufall, oder wer oder was auch immer will, weiß ich nur zu gut, wovon ich geographisiere. In Arad, der Hauptstadt dieser in ihrer Fadesse schon wieder heimeligen Gegend, wo sich die pannonische Tiefebene im anhebenden siebenbürgischen Hügelland verliert, bin ich Zweitzuhause. Dort lernte ich 1997 meine langjährige, frühere Lebensgefährtin R. kennen und lieben.
In Arad auch wurde das hier meiner antiquarischen Durchdringung unterzogene Lexikon verfasst, dreispaltig gesetzt und gedruckt, zuletzt in einen leuchtroten, mit der klischierten Zeichnung eines Speerwerfers illustrierten Leinenband gebunden. Geschrieben und herausgebracht hat das Buch ein gewisser Herr C. J. Rednic, über den weiter keine Spur zu finden ist, als eben sein Name und diese Publikation, die er im Eigenverlag herausgebracht hat. Im Vorwort begründet der offenkundige Sportenthusiast sein aufwändiges Unternehmen, im Zuge dessen er biographische und statistische Daten über hunderte Aktive eingeholt, ausgewertet und zusammengestellt hatte, mit der bevorstehenden Selektion rumänischer Sportler und Sportlerinnen für die Olympischen Spiele 1936, wozu er mit dieser seiner Kompilation eine Entscheidungshilfe bieten wolle. Wie die historischen Statistiken des IOC, des Rumänischen Olympischen Komitees und Sports Reference LLC ausweisen, hatten rumänische Athleten bereits an Olympia 1900, 1924, 1928 und 1932 teilgenommen, die Rugbymannen 1924 auch ihre erste Medaille, eine Bronzene, erkämpft. Vier Jahre später standen dann erstmals auch zwei Frauen in der rumänischen olympischen Riege. 1936, bei den in Bayern und Berlin von den Nazis ausgerichteten Winter- und Sommerspielen, sollten schließlich 69 rumänische Sportler, darunter wiederum 3 Athletinnen, dabei sein, und der Springreiter Henri Rang die Silbermedaille gewinnen. Aber davon ahnte Herr Rednic bei der Niederschrift seines Werks im beschaulichen Arad der frühen 1930er-Jahre noch nichts, und Henri Rang sucht man im Namensindex am Ende des Bandes vergebens.
Unweit von Rednics Wirkungsstätte, im Städtchen Ineu, hatte sich in den Jahren zuvor das Werden und Wirken des Frauenfußballwunders Böske Szigethy zugetragen: Die Porträtierte hätte sich, wie der deutschen Fassung des Lexikoneintrags entnommen werden kann, seit ihrem “8. Lebensjahr im Fußballspiel, Turnen, Radfahren, Ringen [!], Eislaufen und Schwimmen” geübt. Nunmehr wäre sie die “einzige aktive Fußballspielerin in Rumänien”, seit 12 Jahren beim 1920 gegründeten Sportklub »Victoria Ineu« aktiv und dort schon über 8 Jahre als Mittelstürmerin im Einsatz.
Na bumsti: Ich beschäftige mich seit geraumer Zeit mit der Geschichte des Fußballs, vorliebsam mit seinen Anfängen in Wien seit den 1890er-Jahren, aber auch jenen gleichzeitigen in Prag und Budapest, den zwei anderen Brut- und Glanzstätten des in Fräulein Szigethys aktiver Zeit weltklassigen “Donaufußballs”. Seither habe ich vieles darüber in Erfahrung gebracht, einiges dazu veröffentlicht, das Museum meiner »cosa del cuore« Sportklub Rapid aus Wien mitaufgebaut und jahrelang hauptverantwortlich kuratiert. Eine Frau, die als Center Forward die gegnerischen Reihen der männlichen Backs und Halfbacks penetriert, ist mir dabei nie begegnet. Bis Böske mir beim Blättern zufiel. Freilich hatte sich der Fußballsport auch in Rumänien längst in die Provinz verbreitert, über die Erfolge vor allem der Budapester Spitzenteams war über Presse und Radio natürlich auch in der Crișana zu lesen und zu hören. Ferencváros (vulgo Fradi) hatte 1928 den Mitropacup gewonnen, der große Rivale Újpest dann 1929. Bei Gastspielen konnten die Größen dieser Teams auch hautnah bewundert werden. Profis aus den mitteleuropäischen Metropolen halfen zur gleichen Zeit als Legionäre und Trainer in Rumänien das Niveau zu heben. Ein besonders namhafter unter ihnen war Rapids ehemaliger Stürmerstar Josef »Peppi« Uridil. Er trainierte die »Ripensia« im nicht weit von Ineu und Arad entfernten Timișoara, den ersten Profiklub des Landes und Dominator des rumänischen Fußballgeschehens der 1930er-Jahre. Uridil betreute auch die rumänische Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 1934.
Dieser Aufschwung des Fußballs aber war einer von Männern für Männer. Frauen kickten nicht, und waren auch als Zuschauer meist nur in männlicher Begleitung mit von der Partie. Mit einer Ausnahme eben. Und die stand damals gerade so richtig im Saft. Vor dem Hintergrund dieses notorisch misogynen Fußballotops kommt mir die Stürmerin Böske Szigethy wie das personifizierte »Gurkerl« vor, dieser demütigende Trick, bei dem der Ball durch des Gegners Beine geschoben wird, genau unter seinen Hoden hindurch. Ihr Erscheinen gleicht mir einer unerhörten Begebenheit geradezu goetheanischer Dimension.
Angestachelt von der kuriosen Trouvaille wurde ich neugierig und ging tiefer. Im Netz wurde ich fündig: Mircea Rusnac, ein rumänischer Historiker, der über das Banat schreibt, eine an die Crișana grenzende historische Landschaft, die sich heute zu gleichen Teilen über Ungarn, Rumänien und Serbien erstreckt, bloggte bereits 2011 über die “Fußballerin von Ineu“. Auch er war womöglich über ein ihm zugefallenes Foto der Hantigen im Dress auf deren außergewöhnliche Geschichte verfallen. Von Stirn bis Schuhspitz abgebildet postet er sie seinem Beitrag voran. Auf diesem Bild wirkt sie auf’s Neue brav, wieder hat sie die Hände hinten verschränkt, aber sie scheint auch abgeklärter, als auf der Aufnahme, die in Rednics Album abgebildet ist. Im Rusnacs Blog wird, für mich eröffnend, ein Zeitzeuge zitiert; und zwar nicht irgendein Kiebitz, der sich mit dem Habitus des genießerischen Voyeurs daran erinnert, wie er einst das »Fußballweib« geschaut haben will, sondern ein langjähriger Mitspieler von Erzsébet, Silviu Andru mit Namen. Ineu war damals immerhin in der dritthöchsten Klasse engagiert und spielte ein striktes WM-System. Silviu Andru agierte in diesem als Rechtsverbinder, was heißt, er hatte seiner Mittelstürmerin die Bälle zum Torschuß aufzulegen. Er betätigte sich aber auch als Radler und Ringer, dürfte eine beachtliche Anzahl Trophäen sein Eigen genannt haben, und war vom Beruf übrigens Richter. Doch die Attraktion der Victoria war nicht er, sondern ohne Zweifel Böske Szigethy. In einer von mir etwas geschönten Übersetzung erinnert sich Silviu Andru in einer in Rusnacs Blog zitierten Stelle aus dem »Almanahul Sportul« 1971 (S. 139-140): “Erzsébet hatte alle Qualitäten eines Stürmers: sie war gut gebaut (horrible dictu!), war schnell, hatte gute Laufwege und öffnete damit Räume, konnte dribbeln und täuschen, platziert köpfeln und scharf schießen. Sie spielte durchaus hart, ja wenn es sein musste, verstand sie sich auch aufs Knöchelklopfen.” Damit ist wohl alles gesagt.
Ich weiß, ich bin spät, vermutlich zu spät dran, um mit diesen Zeilen zur Geschichte der Fußballerin Erzsébet Szigethy Aufmerksamkeit zu erregen, Klicks und Likes zu generieren, oder gar geteilt zu werden. Das laute Hallo um die österreichischen Fußballerinnen, die mit dem überraschenden Vordringen ins Halbfinale bei der Europameisterschaft 2017 zumindest vorübergehend den spätestens seit der Weltmeisterschaft 1954 virulenten Phantomschmerz der untergegangenen Fußballgröße Österreich zu lindern vermochten, klang schneller aus, als ich meine Gedanken formulieren konnte. Aber, Tausendrosen drauf! Böske war eine Pionierin des Frauenfußballs, bevor es diesen im heutigen Sinn überhaupt gab, und verdient allein deshalb schon ein Denkmal im Pantheon dieses Sports. Vielleicht ist diese Hommage ja der Grundstein dazu.
Domenico Jacono
Wien, am 19. August 2017